Saugleistungen verstehen

Aber wie kommt das? Und was bedeuten die Zusätze wie ISO, ABL oder MDS? Was wird bei diesen Methoden überhaupt gemessen? Und wie können Sie daraus am besten herauslesen, welches Inkontinenzprodukt für Sie in Frage kommt? Diese Fragen versuchen wir auf dieser Seite für Sie zu klären und ein bisschen Licht ins Dunkle der Saugleistung zu bringen!

Rothwell-Test (ISO 11948-1)

Der ISO Test, oder auch Rothwell Test dient zur Messung des maximalen Saugvolumens von Inkontinenzmaterial. Dafür wird das gesamte Inkontinenzprodukt mit der Saugfläche nach unten in eine Urin-Ersatzlösung getaucht. Durch das Berechnen der Differenz zwischen Trocken- und Nass-Gewicht der Testprodukte wird die Saugleistung ermittelt. Diese Ergebnisse sind natürlich nicht sehr genau und haben mit der realen Nutzung von Inkontinenzmaterial wenig zu tun, sie werden in der Praxis aber häufig dafür genutzt, verschiedene Produkte miteinander zu vergleichen.

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Vorteile des ISO Rothwell Test

Zur Berechnung einer ansatzweise realen Saugleistung können Sie die Werte nach dem Rothwell-Test mal 0,4 multiplizieren oder man nimmt 40 Prozent des ISO-Wertes. Zudem können die theoretischen Testergebnisse zum Vergleich der einzelnen saugenden Inkontinenzprodukte genutzt werden. So lassen sich Saugstärken verschiedener Hilfsmittel auch von unterschiedlichen Herstellern vergleichen.

Nachteile des ISO Rothwell Test

Nachteilig bei diesem Saugstärke-Test ist die Tatsache, dass das gesamte Testprodukt und seine Saugfläche in die Flüssigkeit gelegt wird. Dies entspricht kaum der Realität, da Betroffene vor allem die Mitte des Hilfsmittels beanspruchen. In der Praxis ist es eigentlich gar nicht möglich, die ganze Fläche eines saugenden Inkontinenzhilfsmittels zu füllen. Für den Benutzer saugender Inkontinenzmaterialien sind vor allem folgende Werte relevant: die Menge des Urins, die dauerhaft im Saugkern bleiben kann und das Trockengefühl eines Inkontinenz Produktes für den Nutzer.

Video zur ISO 11948-1 Methode im Seni Labor

ABL-Saugleistung

Mit der ABL-Methode (Absorption Before Leakage; Saugleistung vor dem Auslaufen) soll das tatsächliche Saugvolumen von Inkontinenz-Hilfsmitteln bestimmt werden. Mit Hilfe eines anatomisch geformten Torsos werden mehrere realistisch wirkende Miktionen (Harnlassen) simuliert. Eine Puppe stellt damit so realistisch wie möglich das Urinieren einer inkontinenten Person dar. Ein damit verbundenes Dosierungssystem mit Urin Ersatzlösung (wie bspw. Kochsalzlösung) unterstützt diesen Vorgang. Diese Dosierung ist in Zeitfenstern unterteilt, wobei zu Beginn und zum Ende hin weniger Urin abgegeben wird. Der Druck ist am Anfang der Simulation also relativ schwach, steigt dann an und schwächt am Ende wieder ab. Damit wird eine realitätsnahe Miktion simuliert. Während der Durchführung misst ein Durchlauf Kontrollsystem die durch eine künstliche Harnröhre abgegebene Urinmenge. Die Ergebnisse sind sehr realitätsnah und bieten einen guten Anhaltspunkt für die tatsächliche Saugleistung.

Vorteile der ABL Messmethode

Bei Durchführung der Simulation dosiert die angeschlossene Anlage in zeitlichen Abständen die Abgabe unterschiedlicher Flüssigkeitsmengen. Dadurch ist die Simulation realitätsnäher, da auch der inkontinente Nutzer selten zu regelmäßigen Zeiten gleich große Mengen Urin abgibt. Vorteil bei der ABL-Methode ist zudem, dass die Messung in 3 verschiedenen Positionen durchgeführt wird. Eine in der 90° Rückenlage, eine in der 30° Seitenlage und die dritte im Sitzen. So sind die alltäglichen Positionen einer inkontinenten Person im Alltag alle abgedeckt und werden berücksichtigt. Der Zeitpunkt des Auslaufens bestimmt dann das tatsächliche Saugvolumen des Inkontinenz-Hilfsmittels.

Nachteile der ABL Testmethode

Schwierig wird die Messung von eher wenig stark saugenden und kleineren Produkten, da diese nicht den Druck gewohnt sind, mit dem das Dosierungssystem arbeitet. Außerdem kann ein falsches Anlegen zu schnellerem Auslaufen der Inkontinenzprodukte führen und damit die Messung manipulieren.

Video zur ABL Methode im Seni Labor

MDS-Saugleistung

Das MDS-Prüfverfahren wurde 1993 vom Medizinischen Dienst des Spitzenverbandes der Krankenkassen erfunden. 2015 wurde die Prüfmethode überarbeitet und erneuert. Im Gegensatz zur ISO- und ABL-Methode berücksichtigt die MDS Methode auch die Aufsauggeschwindigkeit und die Flüssigkeitsabgabe. Dies macht das Testverfahren sehr aufwändig und zeitintensiv. Die Flüssigkeitsaufnahme wird anhand des Saugpolsters bestimmt, also aus dem Teil der Inkontinenzprodukte, der nach Entfernen aller nicht funktionsrelevanten Teile, wie Klebestreifen und Säume übrig bleibt und das eigentliche Polster darstellt. Das Prinzip der Prüfung besteht darin, an Ausschnitten aus diesem Saugpolster die Flüssigkeitsaufnahme zu bestimmen und dann auf das gesamte Produkt hochzurechnen.

Vorteile des MDS Test

Es wird nicht nur die Aufnahmekapazität gemessen, sondern auch die Geschwindigkeit der Flüssigkeitsaufnahme und die sogenannte Rücknässung. Diese beiden Werte sind in der Praxis für den Endkunden natürlich sehr relevant.

Nachteile der MDS Messmethode

Es werden nur Teile des Inkontinenzmaterials geprüft. Die Proben sind klein und das Ergebnis der Berechnungen ist sehr theoretisch und damit eher unrealistisch und praxisfern.

Durchführung der MDS Methode

Die Durchführung wird in den folgenden 3 Arbeitsschritten ausgeführt. Das Ergebnis dieser 3 Prüfverfahren wird in einer mathematischen Berechnung zusammengeführt und ergibt den MDS Wert.

Vergleich der drei Saugleistungen

Die ABL-Methode hat sich als Ziel gesetzt einen möglichst praxisnahen und relevanten Wert für die Saugstärke von Inkontinenzprodukten zu liefern, während der ISO Rothwell-Test einen realitätsfernen Maximalwert der Saugstärke ermittelt, den man gut als Vergleichswert nutzen kann. Die MDS Messmethode versucht auch andere Aspekte der Saugleistung von Inkontinenzmaterial herauszustellen, wie Rücknässung oder Aufnahmegeschwindigkeit. So hat jede Messmethode ihren eigenen Anspruch an die Messergebnisse.

Wenn es um die reine Vergleichbarkeit der Produkte geht, vor allem auch der Vergleichbarkeit von Produkten unterschiedlicher Hersteller, dann ist sicher die gängigste Testmethode, nämlich die ISO-Rothwell Testmethode, die nützlichste. Machen Sie nicht den Fehler und nehmen den Saugwert als realistischen Wert, sondern nutzen Sie ihn ausschließlich als Vergleichsgröße der unterschiedlichen Produkte. Wenn Sie wissen wollen, wie viel das Produkt tatsächlich aufnehmen kann, so rechnen Sie den ISO-Wert mal 0,4 und erhalten damit eine ungefähre Vorstellung, was das Produkt tatsächlich aufnimmt. Dies ist aber immer noch kein realistischer Wert, sondern nur eine Orientierung. Da die meisten Hersteller aber genau diese Saugleistung angeben, können Sie hier oftmals einen kleinen Anhaltspunkt erhalten.

Im Gegensatz dazu wird die ABL Methode nur selten angewendet und die Ergebnisse meist nicht veröffentlicht. Hier hätten Sie aber die Möglichkeit am ehesten herauszulesen, wie viel das Produkt tatsächlich fassen kann. Die ABL Tests sagen aber auch nichts über die Aufnahmegeschwindigkeit aus. Sollten Sie also schwallartige Miktionen aufweisen, kann es auch hier zu anderen Ergebnissen in der Praxis kommen. Ebenso kann das Ergebnis bei sehr aktiven Anwendern anders ausfallen.

Die MDS Saugleistung bietet nur ein sehr theoretisches Ergebnis. Hier werden nur kleine Proben getestet, die aus dem Saugkörper des Produktes herausgeschnitten werden. Wenn Sie interessiert sind, die Kapazität, Aufnahmegeschwindigkeit und Rücknässung der reinen Saugkörperproben miteinander zu vergleichen, ist diese Saugleistungsangabe recht interessant. Sie kommt der realen Saugleistung auch eher nahe, als die ISO Saugleistung. Die MDS Messung bildet jedoch nicht das Produkt in Aktion ab. Also in voller Größe und beim Anwender angelegt. Ein Saugkörper leitet ja auch immer die Flüssigkeit über die gesamte Länge weiter. Die Saugleistung der MDS Methode ist jedoch etwas aussagekräftiger als die der ISO Saugstärke, da nicht das gesamte Produkt eingetaucht wird.

Tabellarischer Überblick der Messmethoden

Rothwell-Test (ISO 11984-1)ABL-Methode (Absorption Before Leakage)MDS-Methode (Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen)
  • einfacher, unkomplizierter Versuchsaufbau


  • Kategorisierung und Vergleich verschiedener Hilfsmittel

berücksichtigt unterschiedliche Körperhaltungen des Nutzers

optimal für Produkte mit mittlerer bis hoher Saugkapazität
möglichst nah an realen Inkontinenzbedingungen
berücksichtigt und untersucht mehr relevante Faktoren (z.B. Rücknässung, Flüssigkeitsaufnahme, Absorption)
  • gesamte Fläche des Testprodukts wird als Saugfläche gesehen; entspricht nicht der Realität

  • andere Werte sind für den Nutzer relevanter (z.B. Trockengefühl, Kapazität des Saugkerns)

Aufwand verhältnismäßig hoch




spezielle Test-Torsos und Messsysteme nötig
sehr komplexes und aufwendiges Versuchsverfahren



eher theoretische Testergebnisse

Fazit Saugleistungen der Inkontinenzprodukte

Zusammenfassend kann man sagen, dass Sie sich für eine tatsächliche Aufnahmekapazität am besten die ABL Testergebnisse anschauen! Da diese allerdings sehr selten vom Hersteller veröffentlicht werden, oder gar nicht erst erhoben werden, bleiben meist nur die MDS oder ISO Werte. Davon können Sie sich in etwa an den MDS Werte orientieren, jedoch sind diese wie schon beschrieben sehr theoretisch und nur für Probenausschnitte gültig. Der häufig angegebene ISO Wert liegt zwar fern aller Tatsachen mit seinen Saugleistungsangaben, jedoch ist es damit möglich die Produkte miteinander in Relation zu setzen und zu vergleichen.

Am Ende ist jeder Anwender individuell in seinen Gewohnheiten, Vorlieben und Lebensentwürfen und jeder benötigt eine etwas andere Versorgung. Deshalb ist es wichtig, sich nicht an den reinen Saugleistungen zu orientieren, sondern diese nur als ungefähre Angabe und Vergleichsmöglichkeit anzusehen. Probieren Sie immer für sich aus, welche Versorgung für Sie die beste ist. Im Zweifel kann dies auch eine niedrigere Saugleistung sein, als die sie laut Papier vielleicht benötigen, weil das Produkt zum Beispiel sehr gut anliegt und sitzt. Die meisten Betroffenen wechseln außerdem Ihre Inkontinenzmaterialien viel früher als nötig und damit sind oft hohe Saugleistungen gar nicht von Nöten. Probieren Sie es also immer aus!


Zuletzt geändert:

Quellen

https://www.gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/krankenversicherung_1/hilfsmittel/fortschreibungen_aktuell/2021_09/032016_Pruefmethode_Nr_12-2015_MDS-Hi.pdf

https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2015/daz-50-2015/mehr-komfort-und-hoehere-sicherheit

Hua Tran leitet als Head of Content den redaktionellen Bereich bei INSENIO. Sie verfasst, recherchiert und redigiert Texte zu Gesundheit, medizinischen Themen und Produkten. Ihre Fähigkeit, komplexe Themen verständlich zu formulieren und Fragen von Betroffenen und Angehörigen Gehör zu verschaffen, setzt sie seit 2015 beim lNSENIO Ratgeber ein.